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Neu-Ulm: Identitäre Bewegung verteilt Flugblätter an Schulen, auch am Lessing-Gymnasium

Neu-Ulm

Identitäre Bewegung verteilt Flugblätter an Schulen, auch am Lessing-Gymnasium

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    An Schulen, wie hier am Lessing-Gymnasium in Neu-Ulm, tauchen Flugblätter von Rechtsextremen auf.
    An Schulen, wie hier am Lessing-Gymnasium in Neu-Ulm, tauchen Flugblätter von Rechtsextremen auf. Foto: Nico Pointer, dpa

    An Schulen in mehreren Bundesländern sind Flugblätter der rechtsextremen Identitären Bewegung (IB) aufgetaucht, auch in Neu-Ulm. Mit den Flyern versucht die Bewegung offenbar, junge Leute auf Schulhöfen für die rechte Sache zu gewinnen. Das bayerische Kultusministerium berichtet von mehreren Schulen in München und Augsburg, an denen Flyer verteilt wurden - im Nachbarland Baden-Württemberg sind der Regierung zwei Fälle bekannt. Medienberichten zufolge kursieren die Flyer auch an Schulen in Norddeutschland.

    Alles sieht nach einer koordinierten Aktion aus. Die Identitären sprechen mit dem Schreiben gezielt Schülerinnen und Schüler an. Die Flugblätter tragen den Titel „Lehrer hassen diese Fragen“. Auf der Rückseite wird suggeriert, dass die Deutschen mittlerweile in der Minderheit seien, es werden sexuelle Übergriffe thematisiert, aber auch die Zukunftsunsicherheit junger Leute, Rente, Inflation. Die „Remigration“ wird als Lösung der Probleme angepriesen. „Wehr dich!“, ist darauf zu lesen.

    Flyer auch vor dem Lessing-Gymnasium in Neu-Ulm gefunden: Bannmeile um Schulen

    Vor dem Lessing-Gymnasium in Neu-Ulm etwa wurden 40 bis 50 Flyer auf dem Platz vor dem Schuleingang gefunden, sie lagen auf den Pflastersteinen oder in den Büschen. „Das wollen wir nicht akzeptieren“, kommentierte der stellvertretende Schulleiter Marcus Zimmermann-Meigel die Aktion. Es gebe eine Bannmeile für politische Aktivitäten um Schulen. Die Flugblätter seien dem Hausmeister übergeben worden, die allermeisten seien geschreddert worden.

    Bei den Identitären handelt sich um eine rechtsextreme Bewegung, die rassistische und islamfeindliche Positionen vertritt und immer wieder mit Protestaktionen auf sich aufmerksam macht. In Deutschland wird die Gruppe vom Verfassungsschutz beobachtet. Die IB sieht sich selbst als „patriotische Jugendbewegung“. Sie sei mit regionalen Untergruppen bundesweit aktiv und nutze intensiv die sozialen Medien, schreiben die Verfassungshüter. 

    Für die Bewegung ist laut Verfassungsschutz allein die ethnische Herkunft maßgeblich für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk. Jedes Volk soll nach der Denkart ausschließlich auf dem eigenen Territorium leben und auf diese Weise seine Identität bewahren. Dementsprechend fordern die Identitären unter dem Schlagwort „Remigration“ die Um­kehrung von Migrationsbewegungen.

    Rechtsextreme Flugblätter in Neu-Ulm: Was hat das für eine Wirkung bei Kindern und Jugendlichen?

    „Das ist typische Angstmache“, ordnet Rolf Frankenberger, wissenschaftlicher Geschäftsführer beim Institut für Rechtsextremismusforschung an der Universität Tübingen, ein. Darstellungen der eigenen Bevölkerung als Minderheit, die Forderung nach „Remigration“ - das sei altbekannt. Neu sei hingegen, dass die Zukunftsängste junger Menschen thematisiert würden. So wird auch die schmelzende Rente erwähnt und das kollabierende Gesundheitssystem. Auf den Flyern werde gezielt ein Generationenkonflikt zu den „Boomern“ aufgemacht, erklärt Frankenberger. 

    Die Identitären seien gut darin, sich mit solchen Aktionen aufzublasen und sich wichtiger darzustellen als sie eigentlich seien, so der Forscher. Die Gefahr der Flugblätter liege aber darin, dass sie junge Menschen ins Netz locken könnten, wo sie sich gegebenenfalls in rechten Blasen radikalisieren könnten, sagt der Experte. Die Zielgruppe der Identitären seien Jugendliche zwischen 13 und 16 Jahren, schätzt er. „Die, die mitten in der Pubertät stecken und Orientierung suchen, sich mit Identitätsfragen auseinandersetzen.“

    Aus Sicht von Forscher Frankenberger sollten die Flyer keinesfalls in den Papierkorb wandern. „Am besten nimmt man sie mit in den Gemeinschaftsunterricht“, sagt er. Man müsse solche Dinge thematisieren und über die Probleme reden. 

    SPD-Landeschef fordert Demokratie-Grundkurs

    Der baden-württembergische SPD-Landeschef Andreas Stoch zeigte sich angesichts der Flugblätter alarmiert. Er fordert laut einer Mitteilung einen „Grundkurs Demokratie“ für alle Schülerinnen und Schüler vor dem 16. Lebensjahr. „Der Fall zeigt einmal mehr, dass gerade junge Menschen Zielscheibe von Rechten und Rechtsextremen sind.“ Kinder und Jugendliche müssten in die Lage versetzt werden, Propaganda zu erkennen und einordnen zu können.

    An einigen Schulen sind Flyer aufgetaucht.
    An einigen Schulen sind Flyer aufgetaucht. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

    Das bayerische Kultusministerium betont, dass sich Schulen an die Regionalbeauftragten für Demokratie und Toleranz wenden könnten bei extremistischen Vorfällen. Extremismusprävention sei zudem in Lehrplänen verankert, ebenso wie Besuche von KZ-Gedenkstätten. Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) verweist zudem auf die in Bayern eingeführte „Verfassungsviertelstunde“. Damit stärke man das Bewusstsein für Werte wie Freiheit, Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit. Die Verbreitung von Desinformation und das Risiko einer Radikalisierung stellten nicht nur für bayerische Schulen eine wachsende Herausforderung dar, so das Ministerium. 

    Das Kultusministerium im Nachbarland Baden-Württemberg sieht in der Desinformation eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Deshalb hat man im Südwesten eine Taskforce gegründet, um Angebote zu bündeln und mit Medien- und Demokratiebildung an Schulen entgegenzuwirken. Zudem wird bald an den weiterführenden Schulen ein neues Fach eingeführt: Informatik und Medienbildung. Darin lernen die Schülerinnen und Schüler, Informationen und Quellen kritisch zu hinterfragen sowie Interessen bei der Verbreitung von Informationen zu analysieren und einzuordnen.

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